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Autorenbildmanfredschumi

Was wirklich hinter dem Aufreger mit den 4600 Euro steckt

Der Fall einer syrischen Familie in Wien, die 4600 Euro pro Monat Sozialhilfen bekommt, ist einer der Aufreger dieses Sommers. Dazu fällt mir ein passendes Zitat des frühen Topmanagers und Nationalbank-Präsidenten Claus Raidl ein: "Wir haben den Sozialismus überlebt, leben heute gut im Kapitalismus, aber am Föderalismus werden wir ersticken." Denn der erwähnte Fall ist nur möglich, weil jedes Bundesland seine eigenen Kriterien für die Berechnung diverser Zuschüsse (etwa für Mieten) hat. Gleich darauf stand zu lesen, dass die gleiche Familie in Oberösterreich nur die Hälfte bekommen würde und überhaupt gibt es riesige regionale Unterschiede, deren Logik man niemandem erklären kann.


Viele Geldleistungen sind in jedem Bundesland anders

Der Fluch des Föderalismus ist in Österreich nicht nur bei Sozialleistungen zu finden. Dass es für die gleiche Leistung 9x unterschiedliche Geldbeträge gibt, ist ein weit verbreitetes System. Auch die Krankenkassen haben zum Beispiel in jedem Bundesland unterschiedliche Tarife, etwa bei der Honorierung ärztlicher Leistungen. Das entstand dadurch, dass die jeweiligen Gebietskrankenkassen jahrzehntelang "selbständig" waren und überall einzeln mit den Vertragspartnern verhandelt wurde. Zwar wurden im Zuge der Gesundheitsreform die Kassen zur ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse) fusioniert. Die unterschiedlichen Tarife blieben großteils erhalten, weil man sich nicht drübertraute. Man fürchtete große Proteste, wenn man z. B. den Durchschnitt über alle neun Tarife genommen hätte, weil es natürlich "Verlierer" gab. Allen den höchsten Preis zu zahlen wäre zu teuer gekommen. Also wählte man den Weg des geringsten Widerstandes und machte nichts.


Der "Faktor 9" ist die teure österreichische Realität


Das gleiche Bild sieht man bei diversen Förderungen, die ebenfalls Landessache sind. Schließlich werden die Landespolitiker in Österreich nicht müde, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass sie näher bei den Menschen seien und daher viel besser wüssten, was gebraucht wird. Egal, ob es um den Tourismus, Sportvereine oder Energie-Zuschüsse geht, lang lebe der regionale Unterschied. Dass es zwischen Bund, Ländern und Gemeinden oft zu Überschneidungen und daher zu Mehrfach-Förderungen kommt, wird in Kauf genommen.


Den "Faktor 9" gibt es auch bei der ORF-Gebühr. Der regionale Zuschlag, "Länderabgabe" genannt, ist überall unterschiedlich und schwankt übrigens zwischen null und 4,70 Euro im Monat. Strafmandate für Verkehrssünder sind ebenfalls so geregelt, Falschparken und Rasen ist nicht überall gleich teuer. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.


Die unendliche Geschichte der Transparenz-Datenbank


Schon vor rund 15 (!) Jahren hatte ein damaliger Finanzminister der ÖVP eine glorreiche Idee: Wir brauchen eine "Transparenz-Datenbank", die alle Geldflüsse der Gebietskörperschaften umfasst. Dadurch vermeidet man Doppelgleisigkeiten, entdeckt Ungerechtigkeiten und kann so dem Steuerzahler eine Menge Geld ersparen. Die Red war von mehreren Milliarden Euro. Wenn man das Thema heute mit Wirtschaftsforschern oder anderen Experten diskutiert, kugeln die sich vor Lachen (oder Weinen) auf dem Boden. Denn kaum etwas von dieser Idee ist umgesetzt, weil sich viele Länder bis heute weigern mitzumachen. Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Gelder ist nach wie vor ein Fremdwort.


Die Länder verhindern, dass es einheitliche Geldleistungen gibt


Es bedarf so extremer Fälle wie das eingangs erwähnte Beispiel mit den 4600 Euro, um das Thema wieder stärker ins Bewusstsein zu bringen. Wahrscheinlich wird dazu sicher etwas im nächsten Regierungsprogramm stehen unter "Abbau der Bürokratie" oder "mehr Effizienz im Förderwesen". Ziemlich sicher wird dann im Lauf der Zeit am Altar des Föderalismus geopfert. Denn die Länder weigern sich beharrlich, Kompetenzen abzutreten. Sie haben die politische Macht, an der sich niemand zu rütteln getraut. Vor über 20 Jahren hat der damalige steirische Landesrat und Querdenker Gerhard Hirschmann gefordert, die Bundesländer abzuschaffen, weil das nur "teure Folklore" sei. Der gute Mann ist 2019 verstorben, seine Idee war schon früher tot.


Doch der "Faktor 9" ist eine teure Angelegenheit. Besonders jetzt, wo das übliche Budgetdefizit wieder rekordverdächtige Ausmaße annimmt. Doch die Länder sträuben sich bisher vehement dagegen, Geldleistungen zu vereinheitlichen. Das eingangs erwähnte Zitat von Claus Raidl, der als ÖVP-Intimus schon immer ein exzellenter Kenner der österreichischen Realverfassung war, ist über 20 Jahre alt, aber aktueller denn je. Eher werden wohl neue Steuern eingeführt als die Rechte der Länder beschnitten.


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