Die neuesten Meldungen zeigen, dass es vielleicht doch die Russen sein könnten, die von sich aus den Gasexport nach Westeuropa einstellen. Denn ein Gerichtsurteil könnte dazu führen, dass Zahlungen an Gazprom gepfändet werden können. Es wird spannend.
Zunächst eine positive Nachricht: Der Gasverbrauch im Österreich war von Jänner bis April um 25% niedriger als im Schnitt der vergangenen vier Jahre. Das lag am milden Winter und an der Tatsache, dass man in der Industrie begonnen hat, dort wo es möglich ist auf andere Energieträger umzusteigen. Doch das ändert nichts daran, dass wir den Rohstoff noch lange benötigen, weil die Energiewende noch Jahrzehnte brauchen wird, um von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Vor allem jene 900.000 Haushalte, die heute mit Gas heizen, wird man nicht so leicht umrüsten können, vor allem im innerstädtischen Bereich nicht.
Das Gas muss also weiter fließen, aber möglichst nicht aus Putins Reich. Für heftige Diskussionen sorgt allerdings, dass in Österreich in den letzten Monaten in der Regel wieder zwischen 76 und 93 Prozent der Importe aus Russland kamen. Dazu muss man wissen:
Die EU hat beschlossen, bis 2027 nicht mehr von Putin abhängig zu sein. So weit ist man noch nicht. Seit Kriegsbeginn reduzierte sich der Gasbezug Europas immerhin von 150 Milliarden Kubikmeter (2021) auf 43 Milliarden m3 (2023). Dieser Rückgang betraf ausschließlich Pipeline-Gas. Die Importe von russischem Flüssiggas (LNG), das über Schiffe kommt, stiegen hingegen um 38%!
Außer Österreich werden hauptsächlich noch die Slowakei, Ungarn und Slowenien aus dem Osten über eine Pipeline versorgt, die durch die Ukraine geht. Zwar hat Kiew mehrfach angekündigt, dass der Vertrag mit Russland über die Durchlieferung Ende des Jahres endet und nicht verlängert wird. Doch ob dann wirklich kein Gas mehr nach Europa fließt, ist selbst unter Experten umstritten. Manche glauben, dass die Leitungen künftig einfach von "Privaten" betrieben werden und alles weiter geht wie bisher. Denn Russland braucht das Geld und der Westen das Gas, heißt es.
Der OMV als größter Händler kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Sie hat bekanntlich einen langfristigen Vertrag mit der Gazprom, der sie zur Abnahme verpflichtet und auch zu Zahlungen, falls sie auf den Kauf verzichtet ("Take or Pay"). Zwar behaupte der Konzern, dass er "jederzeit" auf andere Lieferanten umsteigen könnte, falls der Zufluss auf Russland versiegt. Selbst macht man offenbar jedoch keine Anstalten, aus eigener Initiative aus dem Vertrag aussteigen zu wollen.
Steigen die Gaspreise wieder, wenn Russland nicht mehr liefert?
Was niemand in der EU will, ist dass die Preise so wie im ersten Jahr des Krieges explodieren. Doch niemand weiß so genau, wie der Markt reagieren würde, wenn die EU tatsächlich ihre Russen-Importe (sowohl über die Pipeline als auch als LNG) auf null stellt. Schießen die Gaskosten auf einmal wieder um 30 Prozent in die Höhe, weil sich das Angebot verknappt? Oder gibt es genug andere Lieferanten (Norwegen, USA, Nordafrika), die zu gleichen Konditionen einspringen können? Hier fehlt es auch an Transparenz: Die OMV weigert sich zu sagen, zu welchem Preis sie von der Gazprom kauft. Zahlt sie den internationalen Marktpreis oder weniger?
Ein Ausstieg aus den Verträgen mit der Gazprom würde natürlich zu einem langjährigen Rechtsstreit führen, was für einen börsenotierten Konzern nie lustig ist. Doch dafür wäre der Vorwurf vom Tisch, dass man mit den Gaskäufen hilft, den Krieg zu finanzieren. Große Gewinne macht die OMV mit dem Handel ohnedies nicht, weil die Spannen zwischen Ein- und Verkauf gering sind. Tatsache ist, dass OMV-Boss Stern schon seit dem Vorjahr genügend Transportkapazitäten aus dem Norden und Süden Europas reserviert hat, damit Österreich auch ohne Russen-Gas versorgt werden kann.
OMV hätte Vertrag über russisches Gas schon kündigen können
Die Gretchenfrage ist, warum man den Gazprom-Vertrag nicht schon gekündigt hat. Dazu hätte es schon zwei Gelegenheiten gegeben, bei denen die Russen ihrerseits vertragsbrüchig wurden: Erstens als sie die Lieferungen nach Deutschland einstellten, für die sie ebenfalls ein Abkommen mit der OMV haben, die als Handelspartner fungiert. Zweitens als sie forderten, dass das Gas in Rubel bezahlt werden muss, was nicht vereinbart war und jetzt de facto über Umwege passiert.
Es kann aber auch sein, dass man sich folgendes denkt: Solange die EU immer mehr russisches LNG über Schiffe importiert, sei es wohl sehr doppelzüngig, von der OMV zu verlangen, auf das Pipeline-Gas zu verzichten. Die EU-Kommission will seit neuestem EU-Häfen verbieten, dass von dort russisches LNG in Drittstaaten verschifft wird. Doch ob das funktionieren wird, ist wie bei vielen anderen Sanktionen unklar. Solange es keine Schritte gibt, die die Importe lückenlos stoppen können bleiben politische Forderungen "auf Russen-Gas zu verzichten" eine Sprechblase.
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