"Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa" - so witzelte man schon früher über das EU-Parlament, weil es manche als ein Auffangbecken für abgeschobene Politiker sahen. Heutzutage behaupten manche, dass der EU-Job sogar ein Sprungbrett für eine spätere (Polit-) Karriere im Heimatland sei. Auf Österreich trifft das wohl kaum zu. Denn was sich bei uns rund um die größte demokratische Wahl in Europa mit (bis zu) 350 Millionen Teilnehmern abspielt, ist erbärmlich und letztklassig.
Wer ist dafür verantwortlich? Zunächst einmal die Parteien, die Brüssel tatsächlich noch als den Ort ansehen, wo man im Inland gescheiterte oder unbeliebte Mandatare hinschickt, wo sie relativ ungestört ihre Politpension verbringen können. Die Beispiele:
ÖVP Spitzenkandidat Reinhard Lopatka (64) wurde nominiert, weil zuvor eine Reihe prominenter Proponenten der Partei absagten.
SPÖ-Mann Andreas Schieder (55) sitzt schon seit 2019 als Fraktionsführer seiner Partei in Brüssel. Kann sich jemand erinnern, was er in den letzten vier Jahren dort gemacht hat?
FPÖ-"Bulldozer" Harald Vilimsky (57) war ähnlich unauffällig. Das versucht er jetzt durch eine beispiellos dumme Anti-EU-Kampagne (Beispiel: "Orban soll EU-Kommissions-Präsident werden") wettzumachen.
Neos-Kandidat Helmut Brandstätter (69), bisher Hinterbänkler im Nationalrat, ist wohl auch kein Signal, um mehr Menschen zu motivieren, zur EU-Wahl zu gehen.
Die Grünen versuchten mit Lena Schilling (23) ein Experiment, das jetzt schon ordentlich schiefgegangen ist.
Schilling-Affäre als einziges Thema vor den Wahlen zum EU-Parlament
Bezeichnend für den Stellenwert, den der Urnengang in Österreich genießt, ist der völlig überzogene Stellenwert, den heimischen Medien der "Affäre Schilling" einräumen. Seit Wochen überbieten sich Zeitungen und TV-Sender, angeführt von Standard, ORF und Falter mit Endlos-Berichten darüber, was ein 23-jähriges Polit-Sternchen gesagt oder nicht gesagt hat. Und dabei geht es nicht um politische Inhalte. Soviel Aufmerksamkeit hat ihre Partei, die rund zehn Prozent der Wählerschaft anspricht, noch selten bekommen. Bemerkenswert an der Geschichte ist, dass alles, was es möglicherweise an Sachthemen in diesem Wahlkampf hätte geben könnte, dadurch gnadenlos zugedröhnt wird. Daran können auch die zahlreichen "Elefantenrunden" (so nennt man es jetzt, wenn die Kandidaten alle zugleich im Fernsehen aufeinander losbrüllen) auf allen möglichen Kanälen nichts ändern.
Ist das wirklich so egal, wer für Österreich in Brüssel sitzt? Wir stellen zwar entsprechend der Größe des Landes nur 19 Abgeordnete. Doch die Bedeutung des Parlaments ist in den letzten Jahren gewachsen. Es ist an allen Gesetzgebungsverfahren der Union beteiligt. Dass dies und das Wirken der rotweißroten Parlamentarier hierzulande kaum wahrgenommen wird, liegt auch an einer wenig effizienten bis kaum wahrnehmbaren Öffentlichkeitsarbeit.
Es gibt viele EU-Themen, die für uns relevant und wichtig sind
Die Themen, die Europa betreffen, gehen uns alle an. Von den Dauerbrennern Migration und Klimawandel bis hin zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft im Vergleich mit den USA und China. Da geht es um Arbeitsplätze, um unseren Wohlstand und vor allem auch (gerade jetzt besonders) um das friedliche Zusammenleben in Europa. Da geht es um Antworten auf die berechtigte Kritik an den EU-Gremien, etwa was die überbordende Bürokratie oder die schwierige Entscheidungsfindung betrifft.
Es gäbe Themen ohne Ende, die wirklich relevant sind. Stattdessen ist es in vielen Nationalstaaten und besonders in Österreich ein beliebter Reflex, alles Unangenehme "denen da draußen" in die Schuhe zu schieben. "Brüssel" ist schuld an allem was gerade schief läuft, auch wenn der eigene Regierungsvertreter vorher dafür gestimmt hat. Dass ein demokratischer Staatenbund mit 27 Mitgliedern sich mit jeder Entscheidung schwer tut scheint wohl klar. Doch auch darüber ernsthaft zu diskutieren wird schwer, wenn sich die Berichterstattung zur Wahl auf die Grabenkämpfe rund um eine grüne Neueinsteigerin reduziert. Dann wundert es wohl niemanden, warum der Anteil der EU-Skeptiker und sogar EU-Hasser bei uns so groß ist wie in kaum einem anderen Mitgliedsstaat.
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