"Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient". Dieses Zitat, das auch heute noch gerne verwendet wird, stammt von einem französischen Philosophen aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts, als Europa gerade von mehreren Kriegen und Konflikten erschüttert wurde. Auch heute erleben wir unruhige Zeiten, sodass der Ruf nach einer "stabilen" Regierung, wie es HBP Van der Bellen nannte, durchaus verständlich ist. Das Volk spielt dabei allerdings nur am Rande mit. Es hat gewählt. Aber wer mit wem regiert, entscheiden die Parteien. Das mag man mögen oder nicht, aber in einer parlamentarischen Demokratie ist das so.
Zwei Schritte vor, einer zurück - dieser Tanz scheint realistisch
Dass es Argumente gibt, die einen unberechenbaren Populisten wie Herbert Kickl damit ausschließen, wird eine Mehrheit der Österreicher wohl verstehen. Doch auf der anderen Seite erzwingt es wiederum eine Allianz von Parteien, die gerade in letzter Zeit konträrer nicht sein könnten. Die sich abzeichnende "Zuckerl-Koalition" aus Schwarz (oder Türkis), Rot und Pink wird von Anfang an jede Menge Gegenwind spüren: Das abschreckende Beispiel der deutschen "Ampel" (Rot, Grün und Gelb), die das Land hinuntergewirtschaftet hat von der Konjunktur-Lokomotive zum Nachzügler in Europa. Den Malus der Türkis/Grünen Regierung, die einen Schuldenberg und jede Menge verbrannte Erde hinterlassen hat. Letztlich wird man oft und geduldig erklären müssen, warum der Sieger der letzten Nationalratswahl als Partner nicht in Frage kam.
Man wird auf dem glatten politischen Parkett einen neuen Tanz versuchen müssen. Eine Dreier-Koalition ist für Österreich etwas völlig Neues. Wohl niemand glaubt, dass so etwas völlig reibungsfrei funktionieren kann, muss es auch nicht. Natürlich wird früher oder später gestritten werden. ÖVP, SPÖ und Neos tun gut daran, sich nicht nur die Hände zu reichen, sondern zumindest den politischen Tango zu üben: Zwei Schritte vor, einen zurück. Schreitet man so übers Parkett, kommt man in Summe zumindest immer um einen Schritt voran. Wer mehr erwartet, ist ein Träumer. Wer weniger erwartet, zählt zu den ewigen Pessimisten oder ist FPÖ-Hardcore-Sympathisant.
Alle müssen Abstriche machen und sich den großen Problemen stellen
Sehen wir uns die Gewichtung in der "Zuckerl"-Regierung an: Die ÖVP ist die stärkste einzelne Kraft (51 Abgeordnete), SPÖ und Neos gemeinsam (41+18= 59 Mandatare) hätten mehr Wähler hinter sich. Grob gerechnet und gerundet hat sie 46% Gewicht in dieser Koalition, die SPÖ 38% und die Neos 16%. Man kann sich leicht ausmalen, was passiert, wenn jede knifflige Entscheidung zu einem Kräftemessen ausartet. Man kann aber darauf wetten, dass zumindest am Anfang alle bemüht sein werden, das zu verhindern.
Also muss man sich auf ein (hoffentlich ambitioniertes) Programm einigen, das alle ohne Wenn und Aber unterstützen. Das bedeutet zunächst den Abschied von Forderungen aus dem Wahlkampf, die alle viel Geld kosten würden. Das wird schon schwierig genug.
die ÖVP muss einsehen, dass der Haushalt ohne Steuererhöhungen nicht sanierbar ist und dass es nicht an der Zeit ist, der eigenen Klientel (Bauern, Betriebe) Geschenke zu machen;
die SPÖ hat sich wohl bereits von 32-Stunden-Woche und Arbeitszeitverkürzungen verabschiedet. Vermögenssteuer wird es sicher keine geben, eine Erbschaftssteuer, die sich so nennt, wohl auch kaum.
Die Neos werden akzeptieren müssen, dass der von ihnen oft kritisierte Kammerstaat und die Sozialpartner weiter wichtige Rollen spielen und dass sie als Junior-Partner ihre Ideen bei einer Pensionsreform oder der Zurückdrängung des Föderalismus nicht werden durchsetzen können.
Gut, aber was dann? Das Mindeste wäre, dass endlich der Wildwuchs an Förderungen zurückgefahren und die Bürokratie kräftig reduziert wird, da sollte auch die SPÖ mit dabei sein. Ausgabenseitig gäbe es noch genug Potenzial zum Sparen, im Gesundheitssystem (ambulante Bereiche ausbauen, Spitäler konzentrieren) und beim Faktor 9 (jedes Land hat seine eigenen Gesetze, Regeln, Gebühren, Arzthonorare usw.). Daran sind bisher noch alle Regierungen gescheitert.
Einnahmenseitig wird etwas bei der Grund- oder der Grunderwerbsteuer passieren, damit die SPÖ für den Verzicht auf ihre Steuerideen kompensiert wird. Autofahren wird sicher teurer, ein Steuerzuschlag für die oberste Schichte ist nicht auszuschließen. Beim Thema Arbeitsmarkt wird es heiß: Wir brauchen mehr Vollzeit und Arbeit muss sich mehr lohnen im Verhältnis zu den Sozialleistungen. Migration und der Versuch, diese einzubremsen wird sowieso ein Dauerbrenner. Hier kann die Zuckerl-Regierung nur überraschen, wenn sie etwas weiterbringt, und sei es nach dem erwähnten Motto: Zwei Schritte vor, einer zurück. Auch so ginge zumindest etwas weiter.
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