Es gibt zu wenige Ärzte, weil man keine Termine bekommt und überall ewig warten muss. Die Spitäler sind überfordert, weil es zu wenig geeignetes Personal gibt. Die Kassen zahlen den Versicherten kaum mehr etwas, überall muss man aus eigener Tasche dazuzahlen.
Das ist die gängige Meinung der Österreicher über unser Gesundheitssystem, wie man sie täglich hört. Spricht man mit Experten, sagen sie teilweise genau das Gegenteil bzw. beweisen das offizielle Statistiken: Wir haben 55 Ärzte je 10.000 Einwohner und liegen damit in Europa im vordersten Drittel (z. B. Deutschland und die Schweiz nur 44). Bei der Zahl der Spitalsbetten pro Kopf gehören wir mit 6,6 je 1000 Einwohner zu den Top 3 in Europa. Kein Wunder, dass unser Gesundheitssystem mit seinen jährlichen Ausgaben von über 50 Milliarden Euro auch zu den drei teuersten gehört (gemeinsam mit Frankreich und Deutschland). Trotzdem fehle es überall an Geld, behaupten Ärztekammer, Länder (sie betreiben den Großteil der Spitäler) und Sozialversicherungen.
Der ewige politische Zank zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung
Bei der Diagnose, woran es bei uns krankt, sind sich alle schnell einig: Der Kompetenz-Wirrwarr zwischen Bund, Ländern, Sozialversicherungen und Ärztekammern verhindert Reformen. Man bräuchte eine "Finanzierung aus einer Hand", hört man seit 20 Jahren von Politikern und Experten. Doch diese Polit-Show kann niemand mehr hören. Es scheitert jedes Mal an der Umsetzung. Man schafft eine Kommission, und noch eine Kommission, dann einige Unterkommissionen. Zu befürchten ist, dass sich das auch unter der nächsten Regierung nicht ändern wird. Denn am Ende fehlt - angeblich - das Geld, um etwas bewegen zu können. In Wahrheit sind im "System" natürlich viele Milliarden Euro vorhanden. Sie werden zu einem großen Teil nur falsch eingesetzt.
So sind wir Vizeweltmeister bei der Erstellung von MRT-Befunden und Rekordhalter bei der Inanspruchnahme von Fachärzten. Die Patienten raus aus den teuren (Akut-)Spitälern und zu den niedergelassenen Ärzten umzuleiten lautet die Zauberformel, die Geld spart, das auf der anderen Seite dort eingesetzt werden könnte, wo es wirklich fehlt. Geschafft hat man es zum Beispiel in Schweden, das bei Gott keine schlechte Gesundheitsversorgung hat: Dort gibt es nur zwei (!) Spitalsbetten je 1000 Einwohner dafür aber mehr niedergelassene Ärzte.
Alle kennen die Rezepte, aber keiner kann sie alleine umsetzen
Das Rezept, mit dem man das auch bei uns umsetzen will, sind die "Primärversorgungszentren", wo unter einem Dach Allgemeinmediziner, Fachärzte, Therapeuten usw. untergebracht sind mit Öffnungszeiten wie ein Supermarkt. Behandlungen dort sind deutlich billiger und effizienter als in Krankenhäusern. Die Idee ist zehn Jahre alt, die Umsetzung eine Sisyphus-Arbeit. Inzwischen gibt es immerhin 75 davon, die Zahl wächst. Doch damit kann man nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung versorgen. Der schnellere Ausbau scheitert - natürlich - am fehlenden Geld.
Das versickert im teuren Spitalssystem. Hier kommt die Politik ins Spiel, genauer gesagt die Landespolitik. Denn im feudalen Föderalismus unseren Landes glaubt jeder Häuptling, dass "seine" Spitäler quasi ihm gehören und an den Landesgrenzen alles endet. Ein "Running gag" seit fast schon Jahrzehnten ist das Beispiel Hartberg - Oberwart. Die beiden Kleinstädte liegen nur 20 Kilometer voneinander entfernt, aber es ist eine Landesgrenze dazwischen. Daher hat jeder Ort sein eigenes voll ausgestattetes Landesspital.
Es geht um die Interessen der Politiker, nicht der Patienten
Das Argument, dass niemand "so weit fahren will", wenn es um medizinische Versorgung geht, ist absurd. Gegenfrage: Wollen Sie von jemandem eine neue Hüfte, der nur zehn Operationen im Jahr macht oder lieber von einem, der 70 macht? Auf die paar Kilometer wird es keinem ankommen. Die Konzentration auf kompetente Schwerpunktspitäler ist die Zukunft, die in den Köpfen der Landespolitiker (leider auch in denen der Bürger am Land) noch nicht angekommen ist. Sowohl gesundheitspolitisch als auch aus Kostengründen müsste man diese Zusammenlegungen rasch machen.
Es gibt noch viele andere Baustellen im Gesundheitssystem, etwa die in jedem Bundesland unterschiedlichen Honorare für Arztleistungen, das Problem mit den Kassenstellen und der schwindenden Anzahl an Allgemeinmedizinern, vor allem im ländlichen Bereich. Einen Fortschritt kann es nur geben, wenn Politiker und Interessenvertreter über ihren Schatten springen und die Kompetenzen in eine Hand geben. Das wäre allerdings in Österreich ein absolutes Novum.
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