Ein etwa 40-jähriger Mann wird vom AMS an einen Zahnarzt vermittelt, der einen Techniker sucht. Er erscheint zum Vorstellungsgespräch. Sein erster Wunsch: "Ich möchte nur geringfügig arbeiten, also für 5 oder 6 Stunden die Woche." Warum denn das, wundert sich sein potenzieller Arbeitsgeber, der dringend eine Vollzeitkraft sucht. Es stellt sich heraus, dass es dem Bewerber vor allem darum geht, dass er sein Arbeitslosengeld behalten darf. Das kann er aber nur, wenn er daneben maximal geringfügig beschäftigt ist.
Die simple Rechnung: Wenn er den Job mit Vollzeit annahmen würde, verdient er (ohne Überstunden) netto etwa 1700 Euro im Monat. Da er knapp über 1000 Euro vom AMS bekommt, würde er mit dem (geringfügigen) Zuverdienst (518 €) fast so viel bekommen wie bei einer 35-Stunden-Beschäftigung. Außerdem, so fügt er hinzu, weiß er gar nicht ob er soviel arbeiten könnte, denn er hatte schon lange keine Vollzeit-Stelle...
Über 200.000 offene Stellen, obwohl 400.000 auf Jobsuche sind
Geschichten wie diese sind keine Einzelfälle. Überall fehlt es an Personal, auch in Zeiten schwacher Konjunktur. Sind es oft die "falschen" Arbeitskräfte, die sich bewerben? Das Problem hat sich auch schon bis zum zuständigen Arbeitsminister herumgesprochen. Martin Kocher wollte daher das Arbeitslosengeld reformieren und in diesem Zusammenhang die Zuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose einschränken. Das sollte die "Motivation" erhöhen, dass mehr Menschen eine Vollzeit-Stelle annehmen. Doch nach monatelangen Verhandlungen ist Kocher am Koalitionspartner gescheitert, das war vor über einem Jahr. Jetzt hat Bundeskanzler Nehammer das Thema wieder aufs Tapet gebracht. Ob er politische Partner findet, die das nach der heurigen Nationalratswahl mit ihm umsetzen wollen ist völlig offen.
Die Problematik erklärt zu einem Teil, warum es über 400.000 gemeldete Arbeitslose in Österreich gibt, obwohl es laut Statistik Austria 2023 im Schnitt über 200.000 offene Stellen gab. In den letzten Jahren gab es zwar einen steten Zuwachs der Zahl der unselbständig Beschäftigten von rund 50.000 per anno. Doch Experten haben herausgerechnet, dass es in Wahrheit nur mehr Teilzeitkräfte gibt, die Vollzeit-Beschäftigten stagnieren. Dafür gibt es viele Gründe, der eingangs erwähnte ist nur einer: Fehlende Kinderbetreuung, den Wunsch nach mehr Freizeit oder einer besseren "work-life-balance". Auch die zuletzt zunehmende steuerliche Entlastung kleinerer Einkommen begünstige Teilzeitarbeit, warnen Wirtschaftsforscher.
Prognose: Bis 2030 wird es 150.000 weniger Arbeitskräfte geben
Haben wir zu wenig Arbeitskräfte bzw. erwerbsfähige Personen, um den Bedarf abzudecken? Dabei steckt die Wirtschaft in einer Rezession, sodass die Nachfrage in vielen Betriebe begrenzt ist und etliche Branchen sogar Personal freisetzen. Das wird aber nicht immer so bleiben, im nächsten Aufschwung werden wieder mehr neue Jobs angeboten. Doch jetzt kommt die demographische Komponente ins Spiel: Immer mehr Pensionisten, immer weniger Junge, die nachkommen. Laut Statistik Austria sinkt das Arbeitskräftepotenzial (=Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65) in Österreich bis 2030 um 150.000 Personen. Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt steigt daher bedrohlich an.
Wir brauchen daher zusätzliche Arbeitskräfte, woher sollen diese kommen? Es gäbe durchaus Potenzial, aber vieles hat seine Tücken:
Durch ein flächendeckend besseres Angebot an Kinderbetreuung könnten mehr Frauen Vollzeit arbeiten bzw. in einen Job zurückkehren. Dafür fehlen angeblich die Mittel, obwohl es immer wieder Anläufe gibt.
Durch die schrittweise Anhebung des Frauen-Pensionsalters bleiben pro Jahr ca. 20.000 länger auf dem Arbeitsmarkt - Voraussetzung ist, dass Betriebe bereit sind, diese auch länger zu beschäftigen.
Eine Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters (bei Männern aktuell 62) Richtung 65 wird schon lange angestrebt. Es scheitert an zwei Gründen: Dass Firmen ältere und teure nicht behalten wollen und dass viele Arbeitnehmer aus verschiedensten Gründen nicht länger arbeiten wollen bzw. können. Manche nehmen sogar Abschläge in Kauf, um früher in Pension gehen zu können.
Die Zuwanderung erhöhen: Das Problem ist, dass Fachkräfte aus dem Ausland überall gefragt sind, hier herrscht ein reger Wettbewerb unter den Staaten in Europa. Ungelernte Kräfte wiederum helfen uns kaum weiter.
Zugewanderte besser nutzen und integrieren: Wir haben tausende Menschen im Land, die zwar keinen positiven Asylbescheid haben, aber integriert sind, Deutsch können und arbeiten würden, aber nicht dürfen. Hier sind intelligente Lösungen gefragt, um dieses Potenzial zu heben. Das scheitert meist an parteipolitischen Zwängen und realitätsferner Polemik.
Rein statistisch gesehen ist in der Erwerbsquote in Österreich noch Luft nach oben: Sie liegt bei 77% (=Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter, die arbeiten), in Deutschland bei 79% und in Skandinavien bei 80%. Wir hinken deshalb etwas nach, weil Frauen bei uns weniger im Berufsleben stehen. Da könnten vor allem bessere Betreuungsmöglichkeiten Abhilfe schaffen. Das alleine wird aber nicht reichen, um den drohenden Arbeitskräftemangel zu kompensieren. Dazu kommt: 30% arbeiten in Österreich "nur" Teilzeit, der zweithöchste Wert in der EU. Bei Frauen sind es sogar 50%. Hier sehen Experten ein großes Potenzial für den Arbeitsmarkt.
Laut Statistik Austria ist auch bei der Erwerbsquote der 55-59-Jährigen in Österreich noch viel Luft nach oben...